Verändern Computer unsere Sprache?

Computeraugen - Lizenz CC0

Von Algorithmen und Machine Translation

Die technologische Entwicklung macht uns das Leben leichter. Roboter nehmen uns die körperliche Arbeit ab und betreuen in Japan bereits Senioren. Auch geistige Arbeit wird immer mehr von Maschinen übernommen. Vor nicht allzu langer Zeit zeigte mir ein Bekannter ein Programm, mit dem automatisch Texte erstellt werden können. Die Basis bildete eine Art Lückentext, dessen Lücken sich anhand von Variablen ausfüllen lassen, um so brauchbare, fehlerfreie Sätze zu generieren.

Heißt fehlerfrei auch gut?

Als Texter bemühen wir uns, auf Baukastensätze zu verzichten. Ein Text kann dabei immer nur so gut sein, wie die in ihm präsentierten Ideen – und diese Ideen leben erst durch ihre Formulierung auf. Selbst Gebrauchstexte benötigen dieses Quäntchen Kreativität, das den guten vom schlechten Text unterscheidet. Kann ein Computerprogramm so etwas leisten? Und wenn ja, wie verändert sich unsere Sprache – und durch sie unsere Kultur –, wenn wir Computer für uns sprechen lassen?

Übersetzung aus der Tube

Dank neuer Möglichkeiten erleben wir gerade fast unbemerkt eine Revolution. Nicht nur in der redaktionellen Arbeit, sondern gerade auch in der Übersetzung. Die „Machine Translation“ (MT) ist heute schon so weit entwickelt, dass Übersetzer häufig nur noch zur Editierung der maschinell erstellten Übersetzungen herangezogen werden. Bei der Übersetzung geht es jedoch um Entscheidungen.

Übersetzen als Interpretation

Das Laienverständnis von Übersetzung vernachlässigt häufig, dass Übersetzer fortlaufend Entscheidungen treffen, wenn sie einen Text in eine andere Sprache übertragen. Sie wägen die verschiedenen Bedeutungen eines Wortes ab, um den treffenden Ausdruck in der Zielsprache zu finden. Der jüngst verstorbene Linguist, Übersetzer und Autor Umberto Eco nannte diesen Prozess „verhandeln“: Bedeutung als Interpretation und Textäquivalenz als Kompromiss der Bedeutungen, die man aus dem Ausgangstext in die Zielsprache retten kann. Wenn nun eine Maschine diese Verhandlungsarbeit übernimmt, ist das ohne Verflachung der Bedeutungstiefe möglich?

Die in den Mund gelegten Worte

Als Transkreator editiere ich häufig von anderen übersetzte Texte. Nicht selten finden sich in diesen Übersetzungen nur halb passende Begriffe, die vom Übersetzer vermutlich direkt aus dem MT-Plug-in des CAT-Tools übernommen worden sind. Auch im Satzbau lassen sich die Spuren der MT wiederfinden; in überkomplizierten Konstruktionen, die so gar nicht muttersprachlich klingen wollen oder die mit einem anderen Ansatz viel einfacher hätten ausgedrückt werden können. Auf mancher Website tummeln sich heutzutage fröhlich die Ergebnisse solch ungarer Arbeitsteilung zwischen Übersetzer und MT. Nicht selten verbieten Übersetzungsagenturen ihren Freiberuflern deswegen den Einsatz von MT.

Segensreiche Technik?

Gleichzeitig steht es außer Frage, dass CAT-Tools das Übersetzen beschleunigen. Zudem würde wohl kein berufsmäßiger Schreiber auf Schreibprogramme verzichten wollen – ganz zu schweigen von den Segnungen des Internets wie Onlinewörterbüchern, Sprachkorpussen und sagenhaft schneller Recherche. Beachtlich auch Add-ons in VOIP-Anwendungen, die ein Gespräch live dolmetschen. Die Nuancen, die dabei verloren gehen, sind sie nicht der essentielle menschliche Austausch? Ist die Prämisse, die hinter solchen Anstrengungen steckt, nicht eine Eindeutigkeit der Wörter, die diese niemals besessen haben?

Der menschliche Faktor?

Und auch wenn von Algorithmen, Anwendungen und Maschinen die Rede ist, bleibt immer ein Mensch ihr Urheber. Bei der Entwicklung dieser technischen Hilfsmittel arbeiten Linguisten und Informatiker Hand in Hand. Nur wie lange? Wie weit trägt der menschliche Faktor, wenn Computer Menschen heute selbst im Go besiegen, dieser lang geglaubten Bastion menschlicher Überlegenheit. Wie lange wird es dauern, bis „diskursive“ Algorithmen geschrieben werden, ja, sich selber schreiben? Algorithmen, die mit so vielen Sprachkorpussen gefüttert wurden, dass sie über die Variabilität verfügen, Texte „kreativ“ zu gestalten? Ist ein Computerprogramm vorstellbar, dem man ein Thema samt relevanten Informationen zur Verfügung stellt, und das mithilfe des Materials einen gebrauchsfertigen Text ausspuckt – womöglich in wenigen Sekunden? Und wenn wir heute mit Nein antworten, haben wir das nicht auch noch vor fünf Jahren in Bezug auf einen möglichen Sieg eines Computers gegen den Go-Weltmeister gesagt? Und viel wichtiger: Wäre das wirklich ein Fortschritt?

Wie viel Gesellschaft ist in Schriftsprache?

Verführen uns diese Programme nicht zur Ahnungslosigkeit? Kinder, die keine Schreibschrift mehr können; Schüler, die in Schulaufsätzen ohne T9-Wortvorschläge aufgeschmissen sind, deren Schreibstil mehr und mehr mit Chat-Abkürzungen schwanger geht; Algorithmen, die für Onlinezeitungsimperien auswerten, welche Themen von Nutzern gelesen werden und die damit über die zukünftige Themenauswahl entscheiden – und damit über den uns zukommenden Informationsfluss. Maschinen beginnen mehr und mehr unsere tägliche Kommunikation zu beeinflussen. Und das nicht erst seit ein Chatbot fast nicht mehr von menschlichen Chatteilnehmern zu unterscheiden ist.

Diskussionsfreudige Social Bots

Wir steuern auf eine tiefgreifende Veränderung unseres Alltags zu. Es ist eine Sache, wenn Onlinephänomene wie Shitstorms in der Gesellschaft einen Wandel auslösen, eine ganz andere, wenn Chatbots solche Shitstorms verursachen oder bei ihnen mitmischen. Und das, wo der gesellschaftliche Diskurs sich durch Onlineforen, Blogs und Tweets ohnehin schon neu ordnet. Ist es nicht absehbar, dass eher früher als später Bots beginnen werden, diesen Diskurs zu beeinflussen – und als wessen Sprachrohr eigentlich?

Kurzer Exkurs zu Kultur und Sprache

Interessant wird das Phänomen „Chatbot“ gerade dadurch, dass der jüngst von Microsoft vorgestellte Bot Tay sich in kürzester Zeit sprachlich radikalisierte, weil sich User einen Spaß daraus machten, ihn mit allen erdenklichen sexistischen und rassistischen Statements zu füttern. Er demonstrierte damit auf einzigartige Weise, wie auch wir Menschen Sprache, Formulierungen, Haltungen aus unserer Umwelt übernehmen – eindrucksvoll untersucht von Soziolingusisten wie Dell Hymes oder John J. Gumpertz – und so sowohl Position in der Gesellschaft beziehen als auch Zugehörigkeiten herstellen. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Der Chatbot übernahm die Sprache, ohne sie zu reflektieren – und zwang so seine Programmierer eine Blacklist mit unerwünschten Vokabeln anzulegen. Als selbst das nicht funktionierte, wurde Tay abgeschaltet.

Pro und Contra

Sprache und Kultur sind eng miteinander verzahnt. Der Einfluss von geistiger Hilfestellung durch Technologien ist insofern von ganz anderer Natur als die mechanische Unterstützung durch Roboter & Co. Die Unterscheidung verläuft entlang einer einfachen Fragestellung: Lassen wir uns durch Algorithmen bei der geistigen Arbeit helfen oder lassen wir uns von ihnen die Arbeit abnehmen? Sind CAT-Tools der Taschenrechner des Übersetzers? Oder verändern sie unsere Sprache? Die aufgeworfenen Fragen sind dabei weniger als Alarmismus als ein Versuch der Bewusstwerdung gemeint.

Natürlich bedeuten CAT-Tools für den Übersetzer eine Arbeitserleichterung. Doch sie dürfen nicht die Verhandlungsleistung ersetzen, die den Kern jeder Übersetzung bildet. Sicher können automatische Texterstellungsprogramme Gebrauchstexte fertigen – und uns so möglicherweise dabei helfen, der Content-Flut Herr zu werden, nach der die nimmersatte Suchmaschinenoptimierung verlangt. Doch wer möchte mehr als Produktbeschreibungen von einem Computerprogramm lesen?

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Ihre Kulturentdeckerin

Bild: „mann-person-laptop-notizbuch“ von Andreas Weber. Lizenziert unter CC0 auf Pexels

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